2014-07-04

"Lehrplan 21": Der EU-Bildungsabbau wird in die Schweiz getragen.

 "Das schweizerische Bildungswesen wird also seit Jahren von internationalen Organisationen beeinflusst und nach deren Vorgaben umgekrempelt. Der Lehrplan 21 passt sich nahtlos in das Bildungskonzept von OECD und EU ein, welche die Bildung weltweit gleichschalten wollen. Er beinhaltet nichts Eigenständiges, was schon alleine daran deutlich wird, dass er mit den gleichen Wort­hülsen daher kommt wie ähnliche Projekte in unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich."

 Wollen wir das wirklich?

  Überlegungen zu den Grundlagen des Lehrplans 21

von Dieter Sprock

Die Konsultation zum Lehrplanentwurf wurde Ende 2013 abgeschlossen. Nun wird der Entwurf überarbeitet, doch an seinem Konzept wird sich dabei kaum etwas ändern, wenn wir das nicht energisch fordern. Obwohl mit dem Lehrplan 21 wichtige Weichen für die Zukunft unserer Kinder und des ganzen Landes gestellt werden, wurde sein Konzept bisher nur wenig diskutiert, und das gilt es nachzuholen.
Bei einem Projekt von so weitreichender Bedeutung wie dem Lehrplan ist es unumgänglich, dass seine Grundlagen und Ziele offen dargelegt und breit diskutiert werden, damit die Stimmbürger sich eine eigene Meinung dazu bilden und selber entscheiden können, ob sie diesen Lehrplan wirklich wollen. Ein solches Vorgehen gehört zu den selbstverständlichen demokratischen Gepflogenheiten unseres Landes.
Die Lehrplanmacher rechtfertigen sich gerne mit dem Verweis auf Artikel 62 der Bundesverfassung, dem sogenannten Bildungsartikel, der eine Harmonisierung des Volksschulwesens verlangt und dem das Schweizervolk 2006 zugestimmt hat. Dieser sieht aber lediglich eine Harmonisierung «des Schuleintritts­alters, der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen, deren Übergänge sowie die Anerkennung von Abschlüssen» vor und rechtfertigt keine vollkommene Neuausrichtung der Volksschule.
Beim Lehrplan 21 handelt es sich nicht, wie es offiziell heisst, um eine Harmonisierung von 21 Lehrplänen, sondern um eine tiefgreifende Veränderung aller Lerninhalte und der Unterrichtspraxis. Mit seiner Orientierung «am Kompetenzaufbau des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens» (LP21, Sprachen S. 12), an Pisa und den Theorien des Konstruktivismus (dazu weiter unten mehr) bricht er mit unserer bewährten europäischen Bildungstradition und verändert die Volksschule von Grund auf.

Von einer guten Schule …

Die Volksschule hat die Aufgabe, die menschlichen und geistigen Fähigkeiten der heranwachsenden Generation zu entwickeln, sie auf ihre Weiterbildung und das Berufsleben vorzubereiten und sie zu mündigen Bürgern heranzubilden, die einmal fähig sind, ihren Platz in der Gesellschaft aktiv und verantwortungsvoll auszufüllen. Die Schweizer Volksschule hat diesen Auftrag in der Vergangenheit hervorragend erfüllt.
Der Lehrerberuf genoss in der Schweiz hohes Ansehen, die Volksschule war in allen Bevölkerungsschichten sehr gut verankert und akzeptiert. Sie hat nicht nur den Boden für spätere wissenschaftliche Leistungen gelegt, sondern auch massgeblich zum Erhalt der direkten Demokratie beigetragen. Sie hat die Kinder auf ihre Aufgaben als Bürger vorbereitet.
Die demokratische Verankerung unserer Volksschule auf Kantons- und Gemeinde­ebene war weltweit einzigartig. Eine vom Volk gewählte Schulpflege hat die Kontrolle ausgeübt und sichergestellt, dass alles seine gute Ordnung hatte.

… über «neue» Lernformen zum Bildungsabbau

Natürlich kann auch eine gute Schule sich nicht auf dem Erreichten ausruhen; es gibt immer vieles zu verbessern und weiterzuentwickeln. Doch gab es keinen Grund, alles Bewährte in Frage zu stellen und die Schule von Grund auf umzukrempeln, wie dies in unserem Land geschehen ist. Um den Boden für die Zerstörung dieses bewährten Schulsystems vorzubereiten, wurde die Volksschule zunächst jahrelang als extrem rückständig und überholt gebrandmarkt und das Ansehen der Lehrer systematisch untergraben. In Zeitungen, Radio und Fernsehen, ja selbst in den Lehrerseminaren wurde der Eindruck verbreitet, die Schule sei nicht mehr zeitgemäss. Dann löste eine Reform die andere ab.
Besonders scharf wurde der lehrergeführte Klassenunterricht attackiert und abwertend als «Frontalunterricht» bezeichnet. «Neue» individualisierende Lernformen wie Werkstatt-, Wochenplan-, jahrgangsübergreifender Unterricht und selbstentdeckendes Lernen wurden propagiert. Es sei unmöglich, behaupteten die Propagandisten, dass Schüler zur gleichen Zeit Gleiches lernen könnten, ohne Schaden zu nehmen, dafür hätten sie viel zu unterschiedliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kenntnisse. Um ihre Behauptung zu untermauern, verglichen sie völlig absurd die Unterschiede zwischen den Schülern einer Klasse mit jenen zwischen verschiedenen Tierarten wie Vögeln, Hunden, Affen und Elefanten.
Unter dem Vorwand, die Schule und die Schulaufsicht müssten professionalisiert werden, wurden massive Eingriffe in ihre demokratische Verankerung vorgenommen. Wichtige Aufgaben wurden von den gewählten Schulpflegen auf «professionelle» Akteure übertragen. Nach betriebswirtschaftlichem Vorbild wurden Schulleiter eingesetzt und Fachstellen für Schulbeurteilung gegründet, welche die Aufgabe hatten, die Reformen umzusetzen, auch gegen den Rat der erfahrenen Lehrer.

Versprechen und Wirklichkeit

Versprochen wurden blühende Lernlandschaften, mehr Freude an der Schule und ganzheitliche, individuelle Förderung. Geworben wurde mit positiven Begriffen wie «Lernen lernen», «Lernen im Team» und «Lernen sozialer Kompetenzen», mit «Schlüsselqualifikationen», «ganzheitlichem Denken», «Autonomie», «Öffnung der Schule» und anderen mehr. Doch die Realität sieht anders aus.
In Wirklichkeit lernen die Kinder immer weniger. Sie sind in der Schule oft auf sich alleine gestellt und arbeiten nach einem eigenen Programm, jedes für sich. Darunter haben vor allem die schwächeren Schüler zu leiden! Während sie im Klassenunterricht von einem erfahrenen Lehrer und der Klassengemeinschaft aufgefangen werden konnten, haben sie beim individualisierten Lernen keine Chance; alleingelassen resignieren sie häufig. Sie geraten schnell in die Spirale von Abklärungen, Diagnosen, Lernzielbefreiung und medikamentöser Behandlung mit gravierenden Folgen für ihr Leben. Aus Schülern, die vielleicht etwas schwächer sind und mehr Anleitung bräuchten, werden Patienten gemacht. Inzwischen gehört beinahe zu jedem Schulhaus ein ganzes Team von sozialtherapeutisch tätigen Fachleuten.
Zweifellos gibt es Schüler, die unter allen Umständen lernen oder im Alleingang sogar Klassen überspringen können. Sie schwingen im gnadenlosen Wettbewerb obenauf, wobei es bei genauerem Hinsehen auch ihnen oft an soliden Grundlagen und vor allem an sozialer Verbundenheit fehlt.
Die verheissene «Öffnung der Schule» erweist sich immer mehr als Diktatur einer Ideologie, mit der in unseren Volksschulen das Lernen erschwert, wenn nicht gar verhindert wird. Viele Eltern sind verzweifelt, weil ihre Kinder in der Schule nicht mehr mitkommen und die Freude verlieren. Oft verstehen selbst die gebildeten unter ihnen die komplizierte Aufgabenstellung in den chaotischen Lehrmitteln nicht. Lehrmeister klagen über mangelhafte Deutsch- und Mathematikkenntnisse der Bewerber, einige seien nicht einmal darauf eingestellt, etwas zu lernen, und es fehle die notwendige Arbeitshaltung. Nach neun Schuljahren sind immer mehr Jugendliche nicht in der Lage, eine einfache Bedienungsanleitung zu lesen und zu verstehen. Sie haben nur noch geringe oder keine Kenntnisse über die Geschichte unseres Landes und die Bedeutung der direkten Demokratie. Die weiterführenden Schulen müssen die fehlenden Grundlagen mit aufwendigen Förderkursen nachholen, oder ihre Anforderungen drastisch senken.1

Zu den Grundlagen des Lehrplans 21

Der Lehrplan 21 setzt diese verheerende Entwicklung fort und verpflichtet die 21 Deutschschweizer Kantone dazu, in die gleiche Richtung weiterzumarschieren. Zu seinen theoretischen Grundlagen gehören – wie die Verfasser selber sagen – der Konstruktivismus und die Ausrichtung auf Pisa-Vorgaben, die beide bereits bei der Umkrempelung der bewährten Volksschule federführend waren.

Mit Konstruktivismus das Lernen verhindern

Konstruktivismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene philosophische Strömungen des 20. Jahrhunderts. Die meisten und besonders die radikaleren Ausprägungen gehen davon aus, dass der Mensch nicht in der Lage sei, die Realität objektiv zu erkennen, und jeder seine eigene Wirklichkeit konstruiere. Folglich seien Aussagen über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt nicht möglich. Ebenso könne es keine allgemeingültigen Werte und Erziehungsziele geben, denn jeder habe seine eigene Wahrheit.
Das Kind, wird behauptet, sei vor allem auf sich selbst bezogen, es entwickle sich «wesentlich aus sich selbst heraus, aus dem, was in seinem eigenen Inneren vorhanden ist»; es konstruiere sich weitestgehend selbst. Nicht die es umgebende Welt und seine zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern: «Das Gehirn erweist sich nach dieser Theorie als der entscheidende Konstrukteur von Wirklichkeit.» (nach Ahrbeck 2004, S. 85f.) Bei Schwierigkeiten stehen folglich nicht mehr das Kind mit seinem komplexen Beziehungsnetz und seinen persönlichen Gedanken und Gefühlen im Zentrum, sondern seine Hirnfunktionen. Diese Theorie findet in den Diagnosen zahlloser nervöser Kinder und ihrer Behandlung mit Psychopharmaka ihren Niederschlag.2
Auf die Schule übertragen heisst das: Wenn keine Aussagen über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt möglich sind, macht es keinen Sinn, diese Beschaffenheit zu unterrichten. Der Unterricht wird seines Inhalts entleert. «Bereitschaften, Haltungen und Einstellungen» werden als Ersatz für Inhalte um so wichtiger. Das Kind muss die Welt nicht mehr verstehen, es reicht, wenn es sich darin zurechtfindet und bewegen kann. Es «entdeckt die Welt durch sein Handeln». Die traditionelle Wissens- und Wertevermittlung wird durch simple Handlungskonzepte und einfache Fertigkeiten ersetzt, die im Lehrplan grossspurig Kompetenzen genannt werden.
Lehrer und Erzieher werden zu Begleitern einer Entwicklung, die durch «die Eigengesetzlichkeit der Heranwachsenden» bestimmt wird. Ihre Aufgabe ist es, Lernangebote bereitzustellen, aus denen die Kinder auswählen, die sie aber auch verändern oder ablehnen können. Vom Lehrer wird verlangt, dass er sich weitgehend zurückhält und dem Kind die Verantwortung für seine eigene Entwicklung überlässt.
Der Lehrplan 21, der die Schule nach dieser abstrusen Vorstellung vom Menschen umbauen will, bricht radikal mit dem europäischen Bildungsverständnis und seinem personalen Menschenbild. Der Mensch wird auf ein «sich selbststeuerndes System» reduziert. Die Realität und die zwischenmenschliche Dimension des Lebens und Lernens werden weitgehend ausgeblendet. Und Bildung verkommt zu einer Sammlung banaler Kompetenzen, die gemessen und abgehakt werden können, aber mit echter Kompetenz im Sinne der europäischen Bildungstradition nichts zu tun haben.

Die Lerninhalte auf Pisa ausrichten

Auf Drängen der US-Regierung unter Präsident Reagan hat die OECD in den achtziger Jahren standardisierte Tests entwickelt, die heute als Pisa-Tests bekannt sind. Ihr Ziel war es, die Bildungspolitik der einzelnen Gliedstaaten, die sich gegen eine Zentralisierung sträubten, unter Kontrolle zu bringen.
Heute dient Pisa dazu, weltweit die Bildungspolitik souveräner Staaten nach OECD-Normen zu steuern. Pisa misst nicht, wie allgemein angenommen, die Qualität der Bildung, sondern steuert diese und bestimmt so ihre Inhalte; die Kinder lernen für den Test. Pisa war von Anfang an nichts anderes als ein politisches Steuerungsinstrument.3
Die ersten Tests lösten europaweit (medienunterstützt!) eine Flut von Reformen aus. Inzwischen ist Pisa über die Bildungsverwaltung auch in der Schweiz zu einem wichtigen Steuerungsinstrument geworden.

Wie EU und OECD die Schweizer Bildungspolitik steuern

An der Universität Bremen wurde 2010 im Sonderforschungsbereich «Staatlichkeit im Wandel» eine Studie publiziert, welche den Einfluss internationaler Organisationen, vor allem der OECD und der EU, auf die Schweizer Bildungspolitik untersucht. Der Fokus liegt dabei auf dem Bologna-Prozess, welcher von der EU-Kommission vorangetrieben wurde, und der Pisa-Studie der OECD.
Die Resultate zeigen kurz zusammengefasst, einen «unerwartet hohen Einfluss» der internationalen Organisationen auf die Gestaltung der schweizerischen Bildungspolitik. Es sei gelungen, die «innerstaatlichen Leitideen der Bildung» so zu modifizieren, dass sie denen von OECD und EU entsprächen. Bei diesem Prozess hätten gewisse «nationale Akteure» die internationalen Initiativen wie Pisa und Bologna «strategisch» genutzt. Die «Vetospieler und kulturellen Leitideen der Schweiz» hätten dies erstaunlicherweise nicht verhindern können. Die «Transformation der Schweizer Bildungssouveränität» sei ein Vorbild für den politischen Wandel in anderen Ländern!4
Das schweizerische Bildungswesen wird also seit Jahren von internationalen Organisationen beeinflusst und nach deren Vorgaben umgekrempelt. Der Lehrplan 21 passt sich nahtlos in das Bildungskonzept von OECD und EU ein, welche die Bildung weltweit gleichschalten wollen. Er beinhaltet nichts Eigenständiges, was schon alleine daran deutlich wird, dass er mit den gleichen Wort­hülsen daher kommt wie ähnliche Projekte in unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich.

Wem dient der Lehrplan eigentlich?

Vor diesem Hintergrund stellt sich zwingend die Frage, wem der Lehrplan eigentlich dient: Unseren Kindern oder der Erfüllung von OECD- und EU-Standards? Oder will er etwa auf eine Gesellschaft vorbereiten, in der nur 20 Prozent der Menschen gebraucht werden, um die Wirtschaft in Gang zu halten, und der Rest nur noch irgendwie genährt und unterhalten werden muss, wofür dann einfache Handlungskompetenzen ausreichen?
Wohin der konstruktivistische «Aufbruch in neue pädagogische Welten» führt, ist bekannt. Opfer sind vor allem jene Kinder, die zu Hause keine Unterstützung bekommen, sei es, weil die Eltern sie nicht geben können oder das Geld für teure Nachhilfestunden fehlt. Wollen wir diesen Ansatz wirklich zur Grundlage unserer Volkschule machen?
Der Mensch ist kein «sich selbst steuerndes System». Er ist von seiner Natur her auf den Mitmenschen und die Zusammenarbeit ausgerichtet. Seine menschlichen und geistigen Fähigkeiten entwickeln sich im Austausch mit anderen und der aktiven bewussten Auseinandersetzung mit der Welt. Unterrichten und Lernen haben eine starke zwischenmenschliche Komponente.
Kinder entwickeln sich nicht «aus sich selbst heraus». Selbstentdeckend, durch Handeln, entwickeln sie nur eine begrenzte und vor allem selbstbezogene Sicht auf die Welt. Um den Blick zu erweitern und das Verständnis für tiefere Zusammenhänge zu legen, braucht es Vermittlung, die sich sinnvollerweise auf die bereits vorhandenen Erkenntnisse unserer Vorfahren stützt. Das Rad muss nicht jeder neu erfinden.
Ein gut geführter Klassenunterricht, der selbstverständlich Gruppen- und Einzelarbeiten einbezieht, bietet dazu die ideale Grundlage. Die gemeinsame von einem Lehrer geleitete Erarbeitung erhöht die Freude am Lernen, sie bietet auch schwächeren Schülern eine Chance und hilft ganz wesentlich, das Gelernte zu festigen. Sie liefert eindeutig die besten Resultate und fördert erst noch auf ganz natürliche Weise das Gemeinschaftsgefühl.5
Die Behauptung, eine solche Schule sei nicht mehr zeitgemäss, hat sich als gezielter Akt der Manipulation entpuppt. Inzwischen hat auch die Wirtschaft erkannt, dass die vielbeschworene «Wissensgesellschaft» nicht weniger, sondern mehr solides Grundlagenwissen braucht.
Kinder wollen die Welt verstehen lernen und haben ein Recht darauf, dass die Schule ihnen dazu verhilft. Es geht nicht an, dass die Schule ihre Bildung auf simple Handlungskompetenzen reduziert und sie sich selbst überlässt. Wollen wir der weiteren Zerstörung unserer Volksschule wirklich noch länger tatenlos zuschauen?    •
1 Ausführlicher in «Was ist mit unserer Schule los. 25 Jahre Schulreform in der Schweiz», von Dr. Alfred Burger, Schulleiter und Pädagoge. Die Broschüre ist über die Redaktion noch erhältlich.
2 Mehr zu den Auswirkungen des radikalen Konstruktivismus in der Pädagogik in «Kinder brauchen Erziehung. Die vergessene pädagogische Verantwortung» von Prof. Dr. Bernd Ahrbeck, 2004. Er lehrt an der Humboldtuniversität in Berlin am Institut für Rehabilitationswissenschaften mit dem Schwerpunkt Verhaltensgestörten-Pädagogik
ISBN 978-3-170-17973-8
3 Nachzulesen bei Roman Langer, Warum haben die PISA gemacht, in Langer, R. (Hg.) 2008: Warum tun die das? Governanceanalysen zum Steuerungshandeln in der Schulentwicklung
ISBN 978-3-531-15807-5
4 http://www.sfb597.uni-bremen.de/homepages/bieber/arbeitspapierBeschreibung.php?ID=159&SPRACHE=de&USER=bieber , eine deutsche Übersetzung befindet sich auf der Homepage des Schulforums Schweiz unter www.schulforum.ch     
5 Weiterführend «Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule» von Michael Felten, 2010
ISBN 978-3-357-9068-824

(Zeit-Fragen Nr. 14 vom 1.7.2014 )


Schule, Lehrplan 21 und staatspolitische Verantwortung

Unsere grossartigen technischen Erfindungen, Bauwerke und unser Wohlstand entstanden dank unserer hervorragenden Ingenieure, Handwerker und unserer ausgewogenen Volkswirtschaft. Dies wurde an ganz traditionellen Schulen, mit ausgezeichneten Schulbüchern und mit einfachsten Mitteln erarbeitet. Sinn- und massvolle Erneuerungen wurden immer nach pädagogischen Kriterien vorgenommen, und die Bevölkerung war immer bereit, für gute Schulen das Notwendige aufzubringen. Im kantonalen Schulgesetz über die Volksschule des Kantons Thurgau vom 29. August 2007 ist der gültige Bildungsauftrag klar formuliert: «Die Volksschule fördert die geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder. In Ergänzung zum Erziehungsauftrag der Eltern erzieht sie die Kinder nach christlichen Grundsätzen und demokratischen Werten zu selbständigen, lebenstüchtigen Persönlichkeiten und zu Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Mitmenschen.»
Mit dem zentralistischen «Lehrplan 21» soll nun ein Paradigmenwechsel vorgenommen werden, der zum grössten Schul- und Bildungsabbau unseres Landes führen wird. Mit «Harmonisierung» war keineswegs ein Totalumbau unseres Schulwesens gemeint!
Schon nach der Aufhebung der bewährten Lehrerseminare wurde mit allem bisher Bewährten gebrochen, die Pädagogischen Hochschulen haben das bewährte Schweizer Schulmodell verlassen. Sie haben weitgehend angloamerikanische und ökonomistische Modelle übernommen. Vieles wurde auch aus unserem Nachbarland mit den EU-Programmen importiert (Kompetenzen, Konstruktivismus, Individualisieren und selbstorganisiertes Lernen, Evaluation)!
Es darf nicht weiter zugelassen werden, dass unsere Kultur der europäischen, humanistischen Bildungstradition und Wertehaltungen diesen Entwicklungen geopfert wird. Das wichtige Fach Geschichte existiert nicht mehr als eigenständiges Fach im LP 21! Einem Grossteil der Schülerschaft fehlen heute, nach neun Schuljahren und all den unsinnigen Reformen, zahlreiche nötige Grundfähigkeiten und -kenntnisse.
Der Lehrplan wurde nicht mit den Lehrbetrieben abgestimmt, und kein Berufsverband wurde einbezogen! Die Elternschaft, die Lehrmeister, die KMU und Berufsschulen beklagen diese unhaltbaren Zustände seit Jahren. Nun soll die Schülerschaft auf den Einsatz im Grossraumbüro mit computerisiertem, standardisiertem Wissen und operationalisierten Bewertungsstrategien trainiert werden. Schnell abrufbares Wissen, im Sinne des «Input-Output-Modells», und zu wissen, wo man nachschauen kann, hat aber nicht mehr viel mit Bildung zu tun. Das hat unsere Jugend und unser Land nicht verdient. Schule muss sich nicht dem Zeitgeist anpassen, sie sollte gerade da und dort Gegensteuer geben und mehr Ganzheitlichkeit, Konzentration und «Entschleunigung» fordern. Natürlich sollen neue Medien mass- und sinnvoll eingesetzt werden. Aber Bescheidenheit ist eine wichtige Tugend. Wer zahlt all die zu erwartenden enormen Kosten durch den LP 21 mit den teuren Informatik­anschaffungen und die Um- und Neubauten der Schulhausanlagen und Schulräume zu «Lernlandschaften»? Die Politik, die Elternschaft und das Gewerbe sind gut beraten, keine weiteren Experimente mit dem Schulsystem zuzulassen, sondern die Rückbesinnung auf das Bewährte mit den notwendigen Verbesserungen zu fordern. Für den Erhalt unseres Staatsmodelles der direkten Demokratie und unsere Volkswirtschaft, aber auch für unsere humanitäre Verantwortung ist eine anspruchsvollere Bildung und bessere Bildungsstrategie notwendig. Es sollen Persönlichkeiten heranreifen, welche die kommenden schweren und komplexen Aufgaben der globalisierten Welt meistern können.
Urs Knoblauch, Fruthwilen
(Leserbrief aus Zeit-Fragen)

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