2014-07-04

Erweiterte NATO und EU im Sinne der US-Weltpolitik

«Kurzfristig ist es in Amerikas Interesse, den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben. Dies erfordert ein hohes Mass an Taktieren und Manipulieren, damit keine gegnerische Koalition zustande kommt, die schliesslich Amerikas Vorrangstellung in Frage stellen könnte, ganz abgesehen davon, dass dies einem einzelnen Staat so schnell nicht gelänge.
[…] Daraus folgt, dass ein grösseres Europa und eine erweiterte Nato den kurz- und längerfristigen Zielen der US-Politik durchaus dienlich sind. Ein grösseres Europa wird den Einflussbereich Amerikas erweitern – und mit der Aufnahme neuer Mitglieder aus Mitteleuropa in den Gremien der Europäischen Union auch die Zahl der Staaten erhöhen, die den USA zuneigen –, ohne dass ein politisch derart geschlossenes Europa entsteht, das bald schon die Vereinigten Staaten in für sie bedeutsamen geopolitischen Belangen anderswo, insbesondere im Nahen Osten, herausfordern könnte. Ein politisch klar definiertes Europa ist nicht zuletzt für die fortschreitende Einbindung Russlands in ein System globaler Zusammenarbeit unverzichtbar.
Zbigniew Brzezinski. Die einzige Weltmacht.
Amerikas Strategie der Vorherrschaft. 1999, S. 282 ff, ISBN 9-783596-143580 (Zeit-Fragen Nr. 14)


Ukraine-Konflikt – Propaganda und Wirklichkeit

von Prof. Dr. Klaus Hornung
 
Die Bundeskanzlerin ist eine Meisterin der Schlagzeilen. Das begann mit der «Alternativlosigkeit» des Euro und seiner Rettung. Jetzt wirft sie Präsident Putin und den Russen die Rückkehr zum «alten Denken» des Sowjetkommunismus vor, zum Streben nach «Einflusssphären», das doch seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren von einer Politik des Interessenausgleichs und der internationalen Kooperation abgelöst worden sei, wie sie vor allem von der EU und den Vereinigten Staaten betrieben würden. Seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts im vorigen Winter ist diese Lesart zum Leitmotiv der westlichen Propaganda geworden, die unisono die russische Führung für den Konflikt und seine Verschärfung verantwortlich machen will. Ein Blick auf die Fakten erscheint nötig.
1991 war die Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem selbständigen Staat geworden. Doch sie blieb in der Folgezeit ein labiles politisches Gebilde. Ihre Machthaber stammten in der Mehrheit noch aus der alten sowjetischen Nomenklatura. Aber schon diese Oligarchen-Regierungen begannen die Öffnung zum Westen. 1992 trat die Ukraine dem IWF bei, 2004 der WTO. Die Grenzen für ausländisches Kapital wurden geöffnet. Die Folge war, dass zwischen 1991 und 2013 die Hälfte der Betriebe geschlossen wurde, die andere Hälfte übernahmen ausländische Konzerne und die Oligarchen. In diesem Zeitraum sank das ukrainische Bruttosozialprodukt auf 70 Prozent des Standes von 1991, die Stahlproduktion auf 43 Prozent, die Bevölkerung von 52 auf 38 Millionen, insbesondere durch eine enorme Abwanderung. Das geschwächte Land geriet zunehmend unter die Direktion westlicher, amerikanischer und europäischer Interessen, vorbereitet und finanziert durch politische Stiftungen und Medien wie Radio Liberty, Stimme Amerikas, die BBC und die Deutsche Welle. 2004 gelang einer breiten Volksbewegung die sogenannte «Revolution in Orange». Julia Timoschenko, obwohl selbst zur Oligarchie gehörend, wurde ihr Idol und Regierungs­chefin. Ihr Dauerstreit mit dem ebenfalls aus der orangenen Revolution kommenden Präsidenten Justschenko führte 2009 zu Neuwahlen und zur Rückkehr der alten Oligarchengarde in die Regierung. Auch Präsident Janukowitsch setzte dann jedoch die Verhandlungen zur Assoziierung der Ukraine mit der EU fort. Im Sommer 2013 lag der Vertragsentwurf auf dem Tisch, doch dann verweigerte der Präsident überraschend seine Unterschrift, um den Vertrag in Kraft zu setzen. Offensichtlich hatte sich Präsident Putin eingeschaltet mit einem günstigen finanziellen Angebot russischer Öl- und Gaslieferungen für die Ukraine. Die Folge war, dass sich in der Erinnerung an 2004 vor allem in der West- und Zentralukraine erneut eine breite Widerstandsbewegung gegen das Oligarchenregime und die Moskauer Bevormundung formierte, die während des Winters 2013/14 immer mehr die Form eines Volksaufstandes, bald auch mit einer wachsenden Zahl von Toten, annahm. Am 21. Februar 2014 reisten die Aussenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens nach Kiew, um eine Vermittlung in dem eskalierenden Konflikt zu versuchen. Tatsächlich gelang der Abschluss eines Abkommens, das die Wiederherstellung der Verfassung von 2004, vorgezogene Neuwahlen und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vorsah und die Unterschriften der drei Aussenminister, des Präsidenten Janukowitsch, eines Vertreters Präsident Putins sowie von Vertretern der Maidan-Bewegung fand eine Lösung des Konflikts aus ­politischer Vernunft. Die drei Aussenminister reisten jedoch noch in der gleichen Nacht übereilt ab. Dieses Vakuum nützten sogleich radikale Kräfte des Maidan zu einem gewaltsamen Vorgehen, das die Regierung Janukowitsch zur Flucht aus Kiew zwang. In Kiew etablierten sich eine provisorische Regierung und ein provisorischer Präsident, ein Vorgehen, das die mit den europäischen Aussenministern getroffene Vereinbarung hinfällig machte. Immerhin gelang es kurz darauf, die Zustimmung der Mehrheit des ukrainischen Parlaments zu dieser provisorischen Regelung zu erreichen, auch dadurch, dass ein Teil der Fraktion der Regierung Janukowitsch zur neuen Regierung umschwenkte. weiterlesen>>>

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