2011-07-06

Staatsrechtslehrer Mayer: Kein umfassendes Recht auf Demokratie!

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 Bild: kopp.de

Verhandlung über Griechenland-Hilfe

Die Verpfändung der Kronjuwelen

In Karlsruhe wurde am Dienstag nicht über Ökonomie diskutiert, sondern über die Aushöhlung der Demokratie. Dem Vorwurf, das Rettungsschirm-Gesetz sei vom Parlament in einer „Zwangssituation“ beschlossen worden, widersprachen indes zahlreiche Abgeordnete.

Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag in Karlsruhe 
Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag in Karlsruhe
„So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt ein Verfassungsrichter des Ersten Senats, der gerade auf dem Weg in die Stadt ist. Er meint den Polizei-Auftrieb am Karlsruher Schlossplatz. So viele uniformierte Beamte wie selten seien abgeordnet worden, das Bundesverfassungsgericht zu schützen. Dabei soll doch das Gericht Schutz bieten: Schutz vor Inflation durch den Euro-Rettungsschirm, vor einer Aushöhlung der deutschen Demokratie und des Haushaltsrechts des Bundestages.
Mit markigen, wenn auch nicht jedem Anwesenden immer sofort einleuchtenden Worten forderte der Staatsrechtslehrer Karl Albrecht Schachtschneider die „Verteidigung des Rechts gegen die Euro-Rettungspolitik“ ein. „Was ökonomisch falsch ist, kann rechtlich nicht richtig sein“, behauptete er und berief sich auf das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht aller Deutschen gegen Versuche, die Verfassungsordnung zu beseitigen. Zwar denke niemand daran, fügte er hinzu, in Deutschland „Verhältnisse zu schaffen wie in Nordafrika und teilweise auch in Griechenland“. Doch die Verfassung werde „im Kern verletzt“. Schachtschneider sprach unter anderem für die Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel und Joachim Starbatty, die sich einst an gleicher Stelle gegen die Einführung des Euros gewandt hatten.







Ist es wirklich schon so weit? Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte jedenfalls gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor „Fehlvorstellungen“ gewarnt: Über „die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise“ werde in Karlsruhe nicht verhandelt. Das sei Aufgabe der Politik, nicht der Rechtsprechung. „Wir wollen hier keine ökonomischen Debatten führen, sondern es geht um den Rechtsrahmen“, ermahnte Voßkuhle die Beschwerdeführer und ihre Prozessvertreter. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, den der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler mitgebracht hatte, konnte daher wenig ausrichten.

Voßkuhle wollte den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen

Wie es die Richter in Karlsruhe so oft versuchen, wollte Voßkuhle mit seinen Hinweisen den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Sie tragen stets den Vorwurf auf den Lippen, das Verfassungsgericht spiele Gesetzgeber. Die Karlsruher Richter hätten aber, so fügte der Gerichtspräsident hinzu, „die Grenzen auszuloten, die das Grundgesetz der Politik setzt“. Was mussten also Bundesregierung und Bundestag bei der Gewährleistung von Krediten im Rahmen des europäischen Finanzstabilitätsgesetzes beachten? Und: Kann ein einzelner Bürger diese Vorgaben überhaupt mit einer Verfassungsbeschwerde durchsetzen?

Die Beschwerdeführer rügen, wie der Freiburger Staatsrechtslehrer Dietrich Murswiek hervorhob, dass die Verfassung durch ein „Notstandsregime“ suspendiert werde. Das Rettungsschirm-Gesetz sei vom Parlament in einer „Zwangssituation“ beschlossen worden. Dem widersprachen freilich die in recht großer Zahl erschienenen Bundestagsabgeordneten aller Parteien außer der Linken. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses Siegfried Kauder (CDU) und der Vorsitzende des EU-Ausschusses, Gunter Krichbaum (CDU), gaben zu, dass der Bundestag seinerzeit zwar unter Druck gestanden habe. Das Parlament habe aber seine Rechte selbstbewusst wahrgenommen. „Jeder hatte die freie Entscheidung – eine Erpressung hat nicht stattgefunden“, versicherte Kauder. Murswiek rügte überdies eine „privatnützige“ Verwendung von Steuergeldern, weil in Wirklichkeit nicht notleidende Staaten gerettet, sondern einigen Großbanken die Risiken abgenommen werden sollten.

Toncar: Keine Obergrenze für Bürgschaften

Florian Toncar (FDP), Mitglied im Haushaltsausschuss, sagte, der Volkswirtschaft hätte „bei einer unkontrollierten Staatspleite schwerster Schaden gedroht“, wenn die Abgeordneten nicht die Griechenlandhilfen und den „Rettungsschirm“ beschlossen hätten. Toncar erinnerte daran, dass der Bundestag zwar eine Schuldenbremse ins Grundgesetz eingebaut habe, aber keine Obergrenze für die Übernahme von Bürgschaften. Doch räumte er ein, dass mit jeder weiteren Kredittranche, die das Parlament bewillige, das Ausfallrisiko für den deutschen Steuerzahler größer werde. „Wir können dann den Prozess für die Zukunft stoppen, aber kein Geld zurückholen.“ Thomas Silberhorn (CSU) erinnerte daran, dass der Bundestag bei der bevorstehenden Einführung des dauerhaften Schutzschirms ESM versuche, jede Zustimmung der Bundesregierung in Brüssel zu neuen Kredittranchen von seiner Zustimmung abhängig zu machen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hob hervor, dass die Mitgliedstaaten die „Herren“ der europäischen Verträge blieben. Die Stabilität des Euro sei von „überragender Bedeutung“. Ein unkontrollierter Zahlungsausfall könne „größere Auswirkungen“ haben als die Bankenkrise im Jahr 2008. Wie strikt die Auflagen für Griechenland seien, zeige sich daran, dass Irland und Portugal fast schon zum Antrag hätten gedrängt werden müssen. „Das sind keine reinen Bequemlichkeitsveranstaltungen.“

Budgetrecht als Kronjuwele des Parlaments

Das Budgetrecht sei gewiss eine Kronjuwele des Parlaments, gab Udo Di Fabio, im Zweiten Senat federführend für dieses Verfahren, zu bedenken: „Wenn der Souverän beginnt, sie zu verpfänden, könnte seine Freiheit begrenzt werden.“ Schon in seinem Urteil zum Maastricht-Vertrag habe das Gericht klargestellt, dass es in Währungsfragen keinen Automatismus geben dürfe. Di Fabios Kollegin Gertrude Lübbe-Wolff nahm die Abgeordneten in Schutz. Schließlich hätten sie die entsprechenden Gesetze „nicht aus Jux und Dollerei“ verabschiedet, sondern um Schlimmeres zu verhüten.
Als Sachverständige hatte das Gericht überdies zwei Vertreter der Europäischen Zentralbank geladen, die immer mehr Staatsanleihen maroder EU-Länder aufgekauft und damit bei sich selbst Risiken angehäuft hat. Auch dies halten die Kläger für einen Bruch des Europarechts, der die Mitgliedsländer teuer zu stehen kommen könne. Kein Wunder, dass die beiden Entsandten der unabhängigen Notenbank vorsichtshalber den Europarechtler Ingolf Pernice im Schlepptau hatten. Der EZB-Ökonom Hans-Joachim Klöckers verneinte auf Fragen der Richter jedes Inflationsrisiko durch die Finanzspritzen. Sie seien notwendig gewesen, damit es nicht wieder zu einer unkalkulierbaren Finanzkrise komme wie nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers.
Doch bleibt die Frage, ob die Maßnahmen, die nach Ansicht der Beschwerdeführer auch gegen das sogenannte Bail-out-Verbot der europäischen Verträge verstoßen, überhaupt vor dem Bundesverfassungsgericht gerügt werden können. Der Prozessbevollmächtigte des Bundestages, der Bielefelder Staatsrechtslehrer Franz Mayer, warf ein, dass es kein umfassendes Grundrecht auf Demokratie gebe. Und die Richter des Zweiten Senats machen sich die Frage der Zulässigkeit solcher Verfassungsbeschwerden offenbar nicht leicht.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dapd

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Ist der Euro-Rettungsschirm verfassungswidrig?

Am 5.7. fand im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine öffentliche Anhörung zu zwei prominenten Klagen gegen die sogenannten finanziellen „Rettungsschirme” für die Banken der Eurozone statt: Zum einen die Klage der berühmten „fünf Professoren” (Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider, Joachim Starbatty und Dieter Spethmann), die früher schon gegen den Euro geklagt hatten, und zum anderen Peter Gauweiler, ein Abweichler der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Das Gericht hörte außerdem die Argumente der Bundesregierung und des Bundestages zum Rettungsschirm.
Die mehr als siebenstündigen Verhandlungen in Karlsruhe offenbarten einmal mehr, daß Bundesregierung und Bundestagsmehrheit Ansichten von niemand anderem als dem berüchtigten Carl Schmitt übernommen haben. Dieser hatte vor 80 Jahren den fatalen Glaubenssatz formuliert, der Notstand sei der eigentliche Raum der Politik, und geltende Gesetze hätten davor keinen Bestand. Damit war er einer der juristischen Haupttotengräber der Weimarer Republik und Wegbereiter des Nazi-Regimes gewesen. Im Verlauf der Anhörungen verwendeten die Verfechter des Rettungsschirmes jedenfalls sehr oft Begriffe wie „Notstand” und „außerordentlich gefährlich”.
Die Arroganz der Macht des Bailout-Lagers wurde von dessen Sprechern aggressiv zur Schau gestellt, als sie von Anfang an argumentierten, daß das Gericht die Klage überhaupt nicht anhören solle. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte die Richter, daß „hochnervöse Finanzmärkte Fragen stellen”, ob Europa und der Euro standfest seien. Die Krise der Finanzmärkte sei angeblich nicht vorhersehbar gewesen, man habe in einer ausgesprochenen „Notsituation” handeln müssen, und zwar schnell. Es habe die Gefahr „unkontrollierter Zusammenbrüche” bestanden, eine Alternative zu den Blitzentscheidungen der Regierung habe es nicht gegeben.
Die Klägerseite hielt dem entgegen, daß selbst der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung im vergangenen Jahr vor dem Rettungsschirm gewarnt hatte und daß von 200 deutschen Ökonomen nur 7 den Bailout befürworteten. In seiner Antwort darauf verstieg sich der Bevollmächtigte des Finanzministeriums, Ulrich Häde, nicht nur zu der peinlichen Aussage, man solle lieber auf die „Fachleute des IWF” hören, da diese die „besten Erfahrungen“ im Umgang mit solchen Problemen hätten, er schüttete sogar offene Häme aus, als er an einem Punkt fragte, wer in Deutschland sich eigentlich geschädigt fühlte: „Wo sind denn die protestierenden Bürger in den Straßen von Bremen, oder Berlin, wo sind sie denn?”
So belegten die Bailout-Befürworter mit jedem Satz, den sie anführten, das, was die Kläger der Regierung vorwerfen, daß nämlich die Bailout-Politik ein widerrechtlicher „Umsturz” (Schachtschneider) unter Berufung auf einen „übergesetzlichen, überverfassungsrechtlichen und auch übereuroparechtlichen Notstand” sei - ein Notstandsbegriff, den kein Gericht akzeptieren könne, wie Dieter Murswiek, der Bevollmächtige des Klägers Gauweiler, erklärte. „Wir appellieren an das hohe Gericht, der Politik Europas in den Arm zu fallen, um uns vor dem Taumel in den Abgrund einer Zerrüttung der Wirtschafts- und Währungsunion zu bewahren”, mahnte Nölling. Das Verfassungsgericht sei „die letzte, noch mit Vertrauen ausgestattete Institution”, fügte er hinzu, und die Richter dürften dieses Vertrauen nicht enttäuschen.
Die Anhörung war ein historisches Ereignis, eine der seltenen Gelegenheiten, in denen die Fehler der Regierung und ihre Komplizenschaft mit den Banken ausführlich dargelegt wurden. Das Parlament erfüllt nicht mehr seine Verpflichtung, die Regierung zu kontrollieren, und in Deutschland gibt es die Institution des Volksbegehrens nicht, durch das die Politik der Regierung korrigiert werden könnte. Auch die großen Medien sind weitgehend auf der Seite der Banken und Finanzmärkte und zeigen wenig Sympathie für die Opfer der Krise. Daher ist das Verfassungsgericht tatsächlich die letzte Instanz, die noch eine Chance hat, die Regierung und die Vertreter der „Rettungsschirme“ zurechtzustutzen.(Quelle: http://news.eirna.com)
 

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