2011-07-03

Prof. Wilhelm Hankel und Hannes Androsch

“Politischer Analphabetismus” Interview mit Format

  Bild: ad-hoc-news.de


Der deutsche Euro-Kritiker Wilhelm Hankel und der österreichische Industrielle Hannes Androsch über eine Verkleinerung der Eurozone, erpresseri­sche Banken und ein neues Weltwährungssystem.

FORMAT: Nach Griechenland kracht es jetzt in Spanien, die europäische Schulden­krise nimmt kein Ende – werden wir in Ös­terreich bald wieder mit Schilling zahlen?

Hankel: Das wäre nicht die schlechteste Perspektive – für Europa und Österreich.

Androsch: Ich bin da anderer Meinung, allerdings mit Einschränkungen. Die euro­päische Integration ist ein einmaliges Frie­densprojekt und ein Wirtschaftserfolg, nicht zuletzt dank des gemeinsamen Binnen­marktes. Im Unterschied zu einer Zollunion gehört dazu vernünftigerweise eine gemein­same Währung. Eine solche braucht – wie ein Staat – aber ein Mindestmaß an gemein­samer Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Hankel: Das ist das Problem. Um aus Europa einen Staat zu machen, bedarf es Voraussetzungen, die wir in Europa nicht mitbringen. Wir sollten auf unsere Vielgestaltigkeit achten, auf unsere Kultur und Tradition. Und genau deswegen ist, sosehr ich die Motive achte, eine gemeinsame Währung der falsche Weg. Der Euro ist ein politisches Projekt, kein ökonomisches, weswegen die heutigen Schwierigkeiten vorherzusehen gewesen sind.

FORMAT: Sie, Herr Hankel, haben gegen den Euro-Rettungsschirm geklagt …

Hankel: Ich habe seit langem den Ein­druck, dass wir in Europa von wirtschafts­politischen Analphabeten regiert werden. Und die haben nie die Alternative gesehen, welche durch die ökonomische Vernunft vorgezeichnet ist. Entweder man macht eine Währungsunion, aber nur unter Staaten mit ganz enger wirtschaftlicher Handelsver­flechtung, wie wir sie etwa zwischen Deutschland und Österreich haben. Eine solche Währungsunion hatten wir lange in Gestalt des damaligen Deutschmark-Blocks, einer Hartwährungsunion.

FORMAT: Was war der Vorteil?

Hankel: Für jedes Mitgliedsland dieses Währungsblocks wäre es unvernünftig ge­wesen, auszutreten, denn das hätte dem gemeinsamen Handels- und Wirtschaftsinteresse geschadet. Die Schlussfolgerung ist: Wir können den Euro nur retten, wenn wir die Währungsunion verschlanken auf Länder mit dichter Handelsverflechtung, in denen die Märkte feste Wechselkurse her­stellen, oder wir müssen zurückgehen zu den Wechselkursunionen der Vor-Euro-Zeit.

Format: Sie, Herr Androsch, bezeichnen den Rettungsschirm als alternativlos …

Androsch: Das Rettungspaket war da, um Zeit zu gewinnen. In Wahrheit war die Grie­chenland-Hilfe, die noch lange keine Lö­sung oder Rettung darstellt, ein Bankenpaket. Und da kann ich es nicht akzeptieren, dass das Milliardenexposure der Banken in den Südländern keinem aufgefallen ist.

Format: Sollten die schlingernden Staaten aus der Eurozone aussteigen?

Hankel: Ich empfehle diesen Weg aus zwei Gründen. Erstens: Ein Staat, dem man die Währung wiedergibt, kann nicht bankrottgehen. Wenn Griechenland eine eige­ne Währung bekommt und die Notenpresse anwirft, wäre das kein Schaden für die Be­völkerung, da alle Preise, die jetzt in Euro nominiert sind, 1:1 in Drachmen nominiert werden können. Das würde Griechenland einen Großteil dieser fürchterlichen Anpassungsprozesse, die jetzt geplant sind, nehmen und damit die Gefahr beseitigen, dass sich das Land politisch destabilisiert.

Format: Und zweitens?

Hankel: Ein Staat, der seine Währung ab­wertet und dadurch wieder wettbewerbsfä­hig wird, kann gleichzeitig seine Gläubiger nötigen, bei den Auslandsschulden Konzes­sionen zu machen. Fälle wie Argentinien, Mexiko, Russland und Südostasien zeigen ja, dass das möglich ist.

Androsch: Das geht aber auch innerhalb einer Währungsunion. Sollte Griechenland jetzt ausscheiden, würden sich die ungelösten Probleme der Banken, vor allem der deutschen und französischen, noch ver­schärfen. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, welche Rolle Europa auf der Welt­bühne spielen möchte – Mitspieler oder Spielball.

Hankel: Größe an sich ist für mich kein Kriterium, ökonomisch schon gar nicht. Es ist offensichtlich, dass gerade die kleinen Staaten Europas, die nicht Teil der Wäh­rungsunion sind, in den letzten zehn Jahren eine bessere Performance hatten. Der Euro war die größte Verführung, über die eigenen Verhältnisse zu leben, die es in der europäischen Geschichte je gegeben hat.

FORMAT: Inwiefern?

Hankel: Mit dem Euro hat die ganze Süd­gruppe ein niedriges Zinsniveau bekommen und ihre Währungsverantwortung – den Wechselkurs – an die Gemeinschaft abge­geben. Nach OECD-Analysen sind die Währungen der Südstaaten real um 30 bis 40 Prozent überbewertet. Eine nötige inter­ne Abwertung wäre allerdings eine Rosskur, die kein Staat politisch und ökonomisch überlebt. Eine nominale Abwertungsmög­lichkeit wäre hingegen human. Das Euro-Rettungspaket hat aber auch eine fatale An­reizwirkung auf die Banken, die ihr altes Spiel einfach weiterspielen können. Das Neue an dieser Krise ist, dass sie nicht vom Realsektor ausgeht, also pleitegehende Un­ternehmen ihre Banken mitziehen, sondern hasardierende Banken die Realwirtschaft in die Krise gezogen haben. Deswegen ist es konzeptionell völlig falsch, diese Banken herauszunehmen. Das Argument, sie seien systemrelevant, ist das plumpste Erpres­sungsargument, das es in der gesamten Geldgeschichte gegeben hat.

Format: Sie sind nicht systemrelevant?

Hankel: Systemrelevant ist nur eine einzige Bank: die Notenbank. Alle Privatbanken sind im Grunde private Auszahlungsagen­turen der Notenbank. Wenn diese nicht funktionieren, kann man sie gefahrlos schließen und durch bessere ersetzen. Dafür plädiere ich, auch wenn Herr Ackermann dem nicht zustim­men wird (lacht).

Format: Stimmt das, Herr Androsch?

Androsch: Der Diagnose kann ich mich weitgehend anschließen, aber nicht zwin­gend in den Schlussfolgerungen. Natürlich haben die Banken in ihrem Risikomanage­ment hasardiert, allerdings haben die öffentlichen Haushalte das in einem noch größeren Ausmaß. Die haben doch die letzten zwanzig Jahre unsere Zukunft ver­spielt.

Format: Immer wieder ist von diversen Regulierungen der Finanzmärkte die Rede, passiert ist bisher wenig. Wie sollten die Finanzmärkte reguliert werden?

Androsch: Wir haben völlig unregulierte Bereiche wie Schattenbanken, in anderen Bereichen haben wir dagegen Überregulierungen. Vorschläge gibt es ja en masse, je kasuistischer diese allerdings sind, desto leichter sind sie zu umgehen. Darauf muss bei der Regulierung geachtet werden.

Hankel: Ich habe da eine ganz radikale Lösung: Die beste Regulierung, die wir im ganzen Finanzsystem je hatten, war ein System der festen Wechselkurse. Dahin müssen wir zurück. Eine geniale Idee von Keynes führt immer noch ein Kümmerdasein: die Sonderziehungsrechte, eine glo­bale Recheneinheit für die Wechselkursberechnung – so wie früher das Gold.

Format: Wie funktioniert das?

Hankel: Im Sonderziehungsrecht nomi­niert jedes Land seinen Wechselkurs in die­sem abstrakten Medium, und dieses ist ein Generalbezugsrecht auf jede Währung. So wäre auch das Problem der Reservewäh­rung diversifiziert – nicht umsonst drängen ja gerade die Chinesen auf eine derartige Umsetzung. Auch das Problem des Klum­penrisikos gehört so der Vergangenheit an, weil man durch eine solche Konstruktion alle Währungen, die im IWF vorrätig sind, ziehen kann und dadurch nicht völlig vom Dollar abhängig ist. Zweitens werden alle Zentralbanken wieder motiviert, die festen Wechselkurse zu verteidigen und auf den Kapitalmärkten zu intervenieren, wenn es erratische Kapitalbewegungen gibt.

FORMAT: Kurze Abschlussprognose: Wie sieht die EU 2015 aus?

Hankel: Sollte die Politik weise sein, wird es zumin­dest die Verschlankung der Eurozone geben. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass die Südstaaten dann von Frankreich geführt wer­den wie zur Zeit der Lateinischen Münz­konvention zwischen 1870 und 1922.

Androsch: Auch wenn es angesichts der gegenwärtigen Probleme und der Verfassung der politischen Verantwortungsträger schwer vorstellbar ist: Ich hoffe, dass die Souveränitätsillusionen überwunden werden und die Zuchtmeister der leeren Kassen verantwortungsvolles Haushalten und damit wieder langfristiges Wachstum ermöglichen werden.

Interview: Arndt Müller 


hs. Die Voraussetzung für die Einführung der Euro-Währung, die Stabilitätskriterien, werden gebrochen. Dazu kommt: Im Vertrag von Lissabon ist festgelegt, dass es den Mitgliedsländern der Europäischen Union verboten ist, für andere Länder für Kredite zu haften, Milliarden an Steuergeldern ans Ausland zu transferieren und die Europäische Zentralbank keine (fast) wertlosen Staatsanleihen ankaufen darf, was derzeit  in Zig-Milliardenhöhe passiert. Durch diese vertrags- u. verfassungswidrigen, durch eine Versammlung der Staats- u. Regierungschefs beschlossenen Maßnahmen werden letztendlich die Steuerzahler zur Kassa gebeten und die Sozialsysteme geschwächt. Die Hoheit über den Haushalt Österreich wird an Brüssel abgegeben, eine Haftungs- u. Transferunion ersetzt die Stabilitätsunion. Das ist eine typische Maßnahme eines Bundesstaates. Hier zeigt sich besonders, dass die EU sich in die falsche Richtung entwickelt. Die EU ist - gewollt - ein Bundesstaat, aber illegal. Reformpläne, welche die EU zu einer Vereinigung souveräner Nationalstaaten zurückbilden sollen, sind utopisch, angesichts dieser Tatsachen. Es hilft nur der Austritt aus der EU! Das ist eine Verletzung der Baugesetze der Bundesverfassung, der Grundprinzipien der Verfassung in Deutschland wie in Österreich. Der Kern der Verfassungsidentität wurde vom Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Vertrag-Urteil wieder explizit geschützt. Diese Verfassungsidentität wird jetzt deutlich verletzt. Dei Prinzipien der Verfassung: Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat, Sozialstaat, Subsidiarität u. Menschenrechte werden verletzt. Die Staatsvölker dürfen über die Fehlentwicklung nicht abstimmen. In Österreich ist die Mehrheit gegen die Griechenlandhilfe und den Rettungsschirm, so in der Tageszeitung „Kurier“ vom 3. Juli 2011.  Steuergelder in Milliardenhöfe für die Spekulationsverluste der Finanzwirtschaft, das kann nicht rechtens sein!

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