2010-12-25

Interview: „Der Euro ist nicht mehr zu retten“


Prager Zeitung: Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider über die Zukunft der europäischen Einheitswährung

 

 Tschechiens Staatspräsident Václav Klaus steht der europäischen Einheitswährung seit jeher kritisch gegenüber und lässt kaum eine Gelegenheit aus, seine Meinung öffentlich kundzutun. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 hat sich Tschechien jedoch dazu verpflichtet, den Euro einzuführen – allerdings zu keinem konkreten Termin. In der gegenwärtigen Euro-Krise mehren sich die Stimmen gegen einen Beitritt zur Euro-Zone.

Bereits seit Anfang der neunziger Jahre ist der deutsche Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider der europäischen Integration kritisch gesinnt. Zuletzt machte er im Mai dieses Jahres von sich reden, als er Verfassungsbeschwerde gegen das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz einlegte, das die deutschen Hilfszahlungen bei der Bekämpfung der griechischen Finanzkrise regelte.

Bernd Rudolf sprach mit dem emeritierten Universitätsprofessor über die Zukunft des Euro und die vermeintlichen Fehler der Politiker.
Nach Griechenland benötigt nun auch Irland Hilfe von der EU. Mittlerweile wurde das Rettungspaket der Euro-Länder auf 750 Milliarden Euro aufgestockt. Ist der Euro noch zu retten?
Karl Albrecht Schachtschneider: Nein, die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist gescheitert. Das haben Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty und ich schon in der Euro-Klage 1998 prognostiziert (Die Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler hatten gegen den Beschluss zur Euro-Einführung erfolglos eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, Anm. d. Red.). Die Rettungsmaßnahmen ignorieren die Vertragsgrundlagen. Sie sind eindeutig rechtswidrig. Man will die Währungsunion nun zu einer Finanz- und Transferunion umwandeln. Das wird zur Verarmung aller beteiligten Völker und zu Hass und Missgunst führen.

  Nach Griechenland benötigt nun auch Irland Hilfe von der EU. Mittlerweile wurde der Rettungsschirm der Euro-Länder auf 750 Milliarden Euro aufgestockt. Ist der Euro noch zu retten?
Nein, der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist gescheitert. Das haben meine Mitstreiter Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty und ich schon in der Euro-Klage 1998 prognostiziert. Der Euro, so wie ihn die Unionsverträge regeln, ist nicht zu retten. Die Rettungsmaßnahmen ignorieren die Vertragsgrundlagen. Sie sind eindeutig rechtswidrig. Man will die Währungsunion nun zu einer Finanz- und Transferunion umwandeln. Das ist ein gänzlich anderes System, der Sache nach endgültig der Bundesstaat mit einer gemeinsamen Verantwortung für die Lebensverhältnisse aller Euroländer. Das wird zur Verarmung aller beteiligten Völker und zu Haß und Mißgunst führen.
Der Rettungsschirm wird immer als „alternativlos“ dargestellt. Wäre es nicht besser, dass die Pleite-Staaten in Insolvenz gehen und somit wieder von null anfangen können?
Mit dem Argument der Alternativlosigkeit will man das Recht nach dem Motto: Not kennt kein Gebot, beugen. Das wird nicht gelingen. Allemal gebietet die ökonomische Vernunft, daß die inflationierenden PIIGS aus der Währungsunion ausscheiden, wieder eine eigene Währung einführen, diese abwerten oder vom Finanzmarkt abwerten lassen und sich dadurch entschulden, daß sie ihre Gläubiger zum Forderungsverzicht zwingen. Sie können schlechterdings ihre Schulden nicht bezahlen. Das trifft einige Großbanken, aber keine Bank ist entgegen deren Propaganda systemrelevant. Es gibt viele Banken, die sich an den einträglichen Spekulationen darauf, daß die Staatsschulden von anderen Staaten, vornehmlich Deutschland, übernommen werden, nicht beteiligt haben. Wer Risiken eingeht, muß den Schaden tragen. Die Bankvorstände müssen in Haftung genommen werden.

Wie sollen eigentlich die ganzen Schulden zurück gezahlt werden. Ist das überhaupt noch möglich?
Nein, keinesfalls! Die Europolitik führt so oder so zu schweren Schäden für all die Menschen, die ein Vermögen erarbeitet oder ererbt haben. Aber auch die Erwerbseinkommen werden erheblich sinken. In Deutschland stagnieren sie seit mehr als zehn Jahren. Ich rechne nicht mit einer langen Inflation, sondern mit einer Währungsreform, welche zur schnellen Entschuldung der Staaten, auch Deutschlands, führt. Anders ist die destabilisierende Staatsschuldenkrise nicht zu bewältigen. Wer den Staaten Kredite gibt, hat sein Geld schon fast verloren. Nur wer Sachwerte hat, ist hinreichend gesichert, wenn auch die Kaufkraft nach der Kriseschwach sein wird. Das System des unbegrenzten Kapitalismus ist auf solche Krisen hin angelegt, zumal der kreditäre Kapitalismus des Fiat-Geldes. Es darf nicht mit einer wohlgeordneten Markwirtschaft verwechselt werden, welche die Interessen der Völker bestmöglich ver-wirklicht.
In vielen Ländern gibt es bereits Demonstrationen. Im Lissabon-Vertrag hat man unter anderem die Todesstrafe bei Aufständen wieder eingeführt. Glauben Sie, dass die Verfasser des Vertrages schon im Vorfeld mit Krisen und Ausständen in verschiedenen Länder gerechnet haben?
Ja, sie haben sich auf die Krise vorbereitet und verstärken zunehmend die polizeilichen Instrumente mit dem Argument des Kampfes gegen den Terror. Die Systemkrise wird mit Unruhen verbunden sein. Die Bürokraten dieser „Diktatur“ sind zunehmend verängstigt und sind dabei, die sanfte Despotie zu einer harten Despotie zu entwickeln. Die Todesstrafe ist noch nicht eingeführt. Bisher wird nur der europäische Grundrechtsschutz verweigert, so daß sie eingeführt werden kann. Das ist schlimm genug. Aber Aufstände und Aufruhr können mittels Tötung niedergeschlagen werden, ohne daß dadurch das Recht auf Leben verletzt wird.

Viele Banken haben sich regelrecht mit hochspekulativen Papieren verzockt. Ist der Euro-Rettungsschirm nicht eher ein Bankenrettungsschirm?
Eindeutig! Die Banken bestimmen die Eurorettungspolitk. Die Politiker sind unbedarfte Leute, die nichts von Wirtschaft verstehen und das Recht nicht achten. Eine große Ausnahme ist Ihr Präsident Klaus.
Tschechien ist der Gemeinschaftswährung bisher noch nicht beigetreten, hat sich allerdings mit dem Vertrag von Lissabon dazu verpflichtet. Doch auch Tschechien kämpft mit einem hohen Haushaltsdefizit. Hat es überhaupt noch Sinn, weitere Länder wie Tschechien in den EU-Raum aufzunehmen?
Das hat keinen Sinn. Langfristig wird jedes Euroland und auch Tschechien schweren Schaden leiden. Die stetige eigenständige Entwicklung ist vorzuziehen. Deren Vorteile werden sich zeigen, wenn die Euroländer zusammenbrechen. Es versteht sich, daß Tschechien erst allmählich seine Wirtschaftskraft entwickeln kann. Dazu gehört eine starke Infrastruktur, dazu gehören Märkte, dazu gehört insbesondere eine hohe Leistungsfähigkeit des Volkes und noch vielmehr eine bestmögliche politische Führung. Ich denke, Tschechien ist auf einem guten Weg. Sie sollten die hohe Wettbewerbsfähigkeit und den großen Wohlstand der Schweiz sehen, auch ein kleines Land. Mit leistungswidrigen „geborgten“ niedrigen Zinsen kann ein Land schlecht aufgebaut werden. Möglicherweise hat Tschechien sich übermäßig verschuldet; ich kenne die Fakten insofern nicht.
Präsident Klaus ist ein strikter Gegner der Einheitswährung. Auch in Deutschland gab es bereits vor der Euro-Einführung warnende Stimmen. Was waren die größten Fehler bei der Euro-Einführung?
Ich habe die Politik Ihres Präsidenten immer unterstützt. Ich habe schon im Maastricht-Prozeß 1993 die Währungsunion bekämpft und im Europrozeß der Vier Professoren haben wir versucht, das Unglück für Deutschland und Europa abzuwenden. Die Politik haben wir genausowenig erreicht wie die vielen Volkswirte, die gewarnt haben. Der größte Fehler ist die Europolitik selbst. Sie ist ökonomisch verfehlt, weil es am optimalen Währungsraum mangelt. Heteronome Volkswirtschaften können nicht durch eine Einheitswährung zusammengebunden werden. Die Annahme, daß eine einheitliche Währung die Entwicklungen der Mitgliedstaaten angleicht, ist irriger Monetarismus und hat sich wieder einmal als Irrtum erwiesen. Maßgeblich ist die wettbewerbsfähige Produktivität. Aber fast alle Mitglieder der Währungsunion, die den Euro eingeführt haben, haben die Voraussetzungen, die große und die kleine Konvergenz, nicht erfüllt, auch Deutschland nicht. Die Politik hat sich im Interesse fragwürdiger Eu-ropavisionen darüber hinweggesetzt. Diese Politik gehört in den größeren Zusammenhang einer One-World-Politik, welche die Völker auflösen und die Menschen zu willfährigen Un-tertanen degradieren wollen. Die Demokratie, welche eigenständige Völker voraussetzt, stört die Weltherrschaftspläne. Von einer lebendigen Demokratie kann man in der Europäischen Union schon lange nicht mehr sprechen. Auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentral-bank hat sich nicht behauptet. Diese folgt politischen Weisungen und bricht die Verträge, vor allem indem sie durch jedenfalls für Deutschland konjunkturwidrige Niedrigzinsen und verbotenen Ankauf von Staatsanleihen Inflationspolitik macht, die zur Währungsreform führen kann und wird.Wie groß ist der Einfluss der EU-Bürokratie auf die Nationalstaaten. Sind die Staaten eigentlich noch souverän?
Nein, keinesfalls. Die Politik wird bis ins Kleinste von der Bürokratie der Union bestimmt. Allein das Beihilferecht gibt der Kommission intensive Steuerungsmöglichkeiten. Die Grundfreiheiten des Binnenmarktes haben in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Lebensordnungen der Völker geradezu umgestürzt. All und jedes ist durch Richtlinien und Verordnungen reglementiert. Das Wettbewerbsrecht und dessen Praxis nehmen auf die besonderen Interessen der Einzelstaaten so gut wie keine Rücksicht. Mit dem fast durchgehend praktizierten Herkunftslandprinzip ruinieren Kommission und Gerichthof die Gesetze der Mitgliedstaaten, welche diese demokratisch beschlossen haben, und und und. Jetzt wird den hilfsbedürftigen Mitgliedstaaten die letzte Eigenständigkeit genommen. Sie werden geknebelt und in den wirtschaftlichen Niedergang gezwungen.Stellen wir uns mal vor, der Euro bricht zusammen, und Länder führen wieder ihre eigene Währung ein. Wäre dies das Ende der EU?
Es wäre das Ende der illusionären Union, wie sie zur Zeit verfaßt ist. Diese Verfassung der Verträge kann ja augenscheinlich nicht eingehalten werden. Nach deren Zusammenbruch ergibt sich die Chance, eine tragfähige Union aufzubauen, eine europäischen Europa, ein Europa der Völker, in dem es um die Menschen geht, nicht um die Kapitalisten und die überbezahlte Bürokratie, ein Europa der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit, in dem das Recht, das nur in einer wirklichen Demokratie hervorgebracht werden kann, den höchsten Rang hat. In einem solchen Europa dürfen die Völker nicht aufgelöst werden, sondern müssen ihre Hoheit (Souveränität) uneingeschränkt bewahren, auch wenn das unterschiedliche Ordnungen mit sich bringt. Die Brüsseler Bürokratie ist dann überflüssig. Das Parlament und er Rat würden auf Vorschläge für gemeinsame Gesetze reduziert, die nur in den Mitgliedstaaten zur Geltung kommen, welche das durch ihre Völker oder Parlamente verabschieden. Der unternehmerische Wettbewerb und der unternehmerische Gewinn dürfen nicht das Leitprinzip des menschlichen Lebens und gewissermaßen das höchste Verfassungsprinzip sein, sondern die Vielfalt freiheitlicher Kulturen.

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